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Neuerscheinung: Employability als ein Ziel des Universitätsstudiums, Grundlagen, Methoden, Wirkungsanalyse

30.03.2020 - Dr. Peter A. Zervakis

Mit der Umsetzung der sogenannten „Leitlinien“ im Bologna-Prozess haben die deutschen Hochschulen den Auftrag erhalten, neben der Fachlichkeit und der Persönlichkeits-entwicklung („European citizenship“) auch und besonders die berufliche Relevanz ihrer gestuften Studiengänge zu fördern, um die Beschäftigungsfähigkeit („Employability“) ihrer Hochschulabsolventinnen und -Absolventen weiter zu stärken. Nach der Neustrukturierung des Studiums in Bachelor- und Masterabschlüssen zur Förderung der internationalen Studierendenmobilität entwickelte sich allerdings die Frage der Beziehung zwischen Studium und Beruf zum dritten großen Thema in der deutschen Bologna-Debatte (Teichler 2009). Dabei wurde oft vergessen, dass die Ausbildungsaufgabe als eine von vielen Aufgaben von Hochschulen bereits 1976 im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben wurde.

An dieses lange verdrängte Faktum erinnern dankenswerterweise die Autoren in ihrer detaillierten und klar gegliederten Einführung (S. 11-40) im hier angezeigten Band. Allein der dort gebotene differenzierte und didaktisch sinnvoll aufgebaute Überblick über die zentralen Konfliktlinien in den nationalen und internationalen Debatten über die Studienreform der letzten zwei Dekaden lohnt die Lektüre. Denn während in der internationalen Fachdiskussion „Employability“ eher wertneutral als Förderung der Beschäftigungsmöglichkeiten von schulischen und hochschulischen Absolventen durch eine erleichterte Anerkennung der Abschlüsse im gemeinsamen Europäischen Hochschulraum verstanden wird, wird im deutschen, vorwiegend universitären Kontext dagegen meist verengend die Orientierung des Studiums am Arbeitsmarkt und der konkrete Berufsbezug betont und häufig heftig dagegen polemisiert. Nach der Lektüre wird klar, dass diese Diskussion durch eine Schieflage gekennzeichnet ist: Während nahezu alle am Bologna-Prozess Beteiligten in Deutschland, z.B. Arbeitgeber, Gewerkschafts- und Studierendenvertreter, den „Employability“-Ansatz begrüßen und eine stärkere Beschäftigungsbefähigung im Studium oder gar gleich eine berufliche Ausrichtung der Studiengänge einfordern, wird die Diskussion in den Fakultäten und Fachbereichen der Hochschulen differenzierter geführt. Anders als die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die die berufsfeldspezifische Orientierung von je her stärker ins grundständige Studium verankert haben, war und ist die berufliche Relevanz des Bachelors für viele Universitäten ein relativ neues Feld. Sie argumentieren, dass der Bachelor in den Geistes- und Naturwissenschaften nicht zur Beschäftigungsbefähigung ausbilden kann. Aus Sicht der Hochschulrektorenkonferenz verengt daher die oft gewählte Übersetzung des Begriffs „Employability“ mit „berufsqualifizierend“ das wissenschaftliche Studium auf eine berufliche Ausbildung. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Hochschulen, im Bachelorstudium auf ein spezielles Berufsbild vorzubereiten, sondern vielmehr die Absolventinnen und Absolventen wissenschaftlich vielseitig und in aller Breite für die wechselnden Anforderungen der Arbeitswelt zu qualifizieren.

Auf dieser breiten Grundlage werden im Anschluss in Teil B (S. 83-158) unterschiedliche Lehr- und Lernformate wie Praktika, Praxisprojekte und digitale Angebote zur Förderung von Employability sowie Veranstaltungen mit Arbeitgebern und Alumni im Universitätsstudium ausführlich beschrieben und ihr methodischer Stellenwert in der täglichen Umsetzung bewertet). Im letzten Teil C des Buches (S. 160-180) wird sowohl auf die Potenziale der Employability im Akkreditierungsprozess als auch auf die messbare Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verbesserung der Employability im Rahmen von Absolventenstudien und Evaluationen eingegangen.

Das Autorenkollektiv aus dem Career Center der Universität Münster verspricht, ein pädagogisch nützliches „Nachschlagewerk für alle“ (S. 7) konzipiert zu haben. Interesse an solch einer „praktischen Orientierungshilfe“ (Klauth, 2020) werden allerdings vorwiegend innerhochschulische Akteure in den Career Center sein, die in den Hochschulen mit der Vermittlung der „Employability“ beschäftigt sind. Tabellen, Schaubilder, Graphiken und unzählige Verweise, Marginalien sowie Abstracts, die ungewöhnlicherweise zusätzlich auch auf Englisch informieren, bieten eine gute Visualisierung der gebotenen Inhalte. Eine übersichtliche Gliederung, ein ausführliches Literaturverzeichnis, eine Liste von einschlägigen Rechtsvorschriften mit Fundorten, ein Glossar und ein Schlagwortregister sind willkommene, zeitsparende Hilfsmittel in der täglichen Nutzung. Das in Münster mit Unterstützung der Qualitätspakt Lehre-Fördermittel in langjähriger Arbeit entwickelte sogenannte „Prozessmodell“ (S. 8) kann ein hilfreiches Angebot für die Entwicklung einer veritablen „Employability-Strategie“ (S. 82) an einer Hochschule mit etabliertem Career Center sein. Denn das Leuchtturmprojekt aus Münster berücksichtigt alle Phasen und Aspekte der Implementation und Umsetzung in den einzelnen Studiengängen wie in den zentralen Einrichtungen: vom Konzept (einschließlich Strategie und Definitionen), über Methoden und Kommunikationsprozesse bis hin zur Evaluation (S.62-82).

Die „Employability“-Debatte darf allerdings nicht losgelöst von der akademischen Kompetenzdebatte geführt werden (Schaper u.a. 2012). Denn weitgehend akzeptiert ist mittlerweile, dass an Hochschulen sowohl fachliche als auch damit in Verbindung stehende überfachliche Kompetenzen vermittelt werden sollen, wenngleich immer noch kein allgemeines Verständnis von (Schlüssel) -Kompetenzen existiert. Mit dem wissenschaftsadäquaten „Kompetenzbegriff“ ist ein weiterer Leitbegriff im Angebot, der geeignet erscheint, sowohl die ausbildungs- und handlungsbezogenen als auch die identitäts- und persönlichkeitsbezogenen Aspekte von Bildungsprozessen zu integrieren. Allerdings reicht dazu die Formulierung von Qualifikations- und Kompetenzzielen in der Studiengangs­entwicklung bei weitem nicht mehr aus, wenn die Umsetzung der Kompetenzziele nicht auch mit einem Wandel der Lernkultur verbunden ist.

Bislang ist an Hochschulen eine klare Verbindung von Studieninhalten mit den für bestimmte Berufsfelder geforderten Fähigkeiten eher selten zu finden. Die Frage, durch welche konkreten Kompetenzen sich „Employability“ eigentlich auszeichnet, bleibt daher oft unbeantwortet. Diese gegenwärtig unzureichende lehr-/lerntheoretische Fundierung des Employability-Ansatzes in vielen Hochschulen droht zu einer Verlagerung der Verantwortung für eine berufs- bzw. arbeitsmarktgerechte Ausbildung auf die Absolventen selbst führen. Deshalb sind in erster Linie die Hochschulverantwortlichen selbst gefordert, das Verhältnis von Studium und Beruf bzw. Hochschule und Arbeitsmarkt angemessener und systematischer als bisher in ihrem Profil und in ihrem Studienprogrammangebot zu verankern. Dies setzt natürlich voraus, neben dem alles beherrschenden Forschungsparadigma Freiräume für Studium und Lehre einzuräumen. Der vorliegende Band aus Sicht der Uni Münster bietet hierzu zumindest ein konkretes und in vielfacher Hinsicht gelungenes Fallbeispiel an, das durchaus überall dort übertragbar wäre, wo es eigene große Career Center mit genügend Personal gibt, die sich dieser Herkulesaufgabe annehmen können.

Andreas Eimer, Jan Knauer, Isabelle Kremer, Tobias Nowak, Andrea Schröder:
Employability als ein Ziel des Universitätsstudiums, Grundlagen, Methoden, Wirkungsanalyse, Bielefeld: wbv, 2019

Besprechung: Dr. Peter A. Zervakis, stellvertretender Projektleiter nexus