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Beyond the Discipline – so gelingt Inter- und Transdisziplinarität in der Hochschule

4. Dezember 2018 - Prof. Dr. Arvid Kappas

Stoßen wissenschaftliche Disziplinen zunehmend an ihre Grenzen? Mein Eindruck ist: Ja. Bewegen wir uns lediglich innerhalb einer Disziplin, erwerben wir zwar ein großes Fachwissen. Es fehlt jedoch der Rundumblick. Es ist Aufgabe der Universitäten, den Absolventinnen und Absolventen diesen 360-Grad-Blick zu ermöglichen und Grenzen abzubauen. Inter- und transdisziplinäres Wissen ist oft – zumindest im aktuellen gesellschaftlichen Kontext – das bessere Wissen. Diese Überzeugung existiert schon länger. Dennoch bewegen wir uns im akademischen Umfeld seit Jahrzehnten im immer gleichen Spannungsfeld: Forderungen nach konsequenter Auflösung disziplinärer Grenzen steht das Festhalten an einer soliden Wissensbasis als Grundlage einer fächerübergreifenden Forschung und Bildung gegenüber. „Disziplinen sind nicht das Problem, sondern der Fakt, dass man diese Grenzen akzeptiert“, hat Manuel Dolderer, Mitgründer und Präsident der Berliner Code University, während des Symposiums B3 – Bildung Beyond Boundaries an unserer Universität, der Jacobs University Bremen, jüngst gesagt.  

Es sei Aufgabe der Universitäten, den Absolventinnen und Absolventen einen 360-Grad-Blick zu ermöglichen und Grenzen abzubauen, sagt Arvid Kappas Bild: Pixabay

Sind radikale Methoden wie das projektbasierte und Neugier getriebene Lernen und Forschen einer Code University Berlin also die Lösung, um Inter- und Transdisziplinarität endlich zum Durchbruch zu verhelfen? Oder brauchen wir ein tragfähiges Fundament, wie sie die disziplinbasierte Ausbildung liefert, um überhaupt zum grenzüberschreitenden Austausch befähigt zu sein, wie es Ulrich Kühnen, Professor für Psychologie an der Jacobs University, unterstrich? Die Jacobs Foundation wird demnächst einen Wettbewerb ausloben, um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, vor allem aber, um radikale Lösungen für die Hochschulbildung der Zukunft zu finden. Die Jacobs University wird die Gewinnerprojekte wissenschaftlich begleiten, um evidenzbasierte Maßnahmen daraus ableiten zu können.

Überschreitung von Fächergrenzen sorgt für neue Lernerlebnisse
Wie Inter- und Transdisziplinarität auch im Kleinen funktioniert, präsentierte Victoria E. Szabo, Professorin für Bild- und Medienwissenschaften an der Duke University, während des Symposiums. An der US-amerikanischen Universität werden Projekte zur Visualisierung von Städten fächer- und methodenübergreifend realisiert. Szabos Beispiel zeigte vielerlei:

  • Die Überschreitung von Fächergrenzen sorgt für neue Lernerlebnisse, nicht zuletzt, weil auch die Integration der Technologie etwa in geisteswissenschaftliche Fächer gelingen muss.
  • Bei Inter- und Transdisziplinarität geht es nicht um „alles oder nichts“. Universitäten können die Disziplingrenzen auch nur teilweise aufheben. One size fits all kann keine valide Antwort sein.
  • Wir müssen lernen, darauf zu vertrauen, dass auch andere Disziplinen forschende Kompetenzen mitbringen, die im eigenen Fach den Erkenntnisgewinn erhöhen können.
  • Übersetzer und Vermittler sind gefragt: Jede Disziplin hat ihre eigenen Methoden und oft auch prinzipiell andere Arten Fragen zu stellen und zu beantworten. Es wird kompliziert, wenn sich die Hierarchie von Wissenschaften – zum Beispiel harte Naturwissenschaften versus weiche Sozial­wissenschaften – auflösen muss, die jeweils andere Arbeitsweise angewandt werden muss. Dann brauchen wir eine Art Übersetzer, der den Methodenausgleich herstellt. In diesen Fällen gibt es häufig Teams, die mehrere Disziplinen vereinen und eher mono-disziplinäre Mitglieder mischen und solche, die dabei unterstützen, Verbindungen zwischen Disziplinen herzustellen. Eine ausschließliche Fokussierung auf MINT-Fächer stößt gerade bei gesellschaftsrelevanten Fragen schnell an Grenzen.

Geht es um die Überwindung von disziplinären Grenzen, stellt sich zunächst vor allem die Frage nach der Lehre. An der Jacobs University lassen sich 90 Prozent der Fächer miteinander kombinieren. Die Studierenden entscheiden selbst, welches Fach Haupt- und welches Nebenfach ist. Das ist gelebte Interdisziplinarität. Zudem gehören zum Disziplingrenzen überschreitenden Studium die individuelle akademische Betreuung und frühzeitige Einbindung der Studierenden in Forschungsprojekte, aber auch die Förderung interkultureller Kompetenz und Selbstkompetenz sowie die Vermittlung von Fachwissen, das überhaupt erst zum Eintritt in den Arbeitsmarkt befähigt.

Der entscheidende Faktor zur Überwindung der disziplinären Grenzen ist also nicht mehr und nicht weniger als ein Kulturwandel an den Hochschulen.

Wettbewerb: 650.000 Euro für radikale Ideen in der Hochschulbildung

Die Jacobs Foundation und die Jacobs University Bremen loben einen internationalen Wettbewerb aus, der innovative und radikale Ideen für die künftige Hochschulbildung sucht. Die Grundsätze dafür wurden im November 2018 während der Konferenz „B³ - Bildung Beyond Boundaries“ entwickelt. Bewerbungen sind ab sofort bis 31. Januar 2019 möglich. Die Jacobs Foundation fördert im Zuge des Wettbewerbs ausgewählte Projekte mit einer Gesamtsumme von bis zu 650.000 Euro. 

www.jacobs-university.de/b3/Call_for_proposals

Prof. Dr. Arvid Kappas

Prof. Dr. Arvid Kappas

Prof. Dr. Arvid Kappas ist seit Juni 2014 Dekan der Jacobs University Bremen. Er ist für die gesamten Graduate und Executive Education Programme sowie für die Diversity-Studienprogramme verantwortlich. Der Psychologie-Professor wurde im August 2013 zum Präsidenten der “International Society for Research on Emotions” (ISRE) gewählt. Er promovierte 1989 am Dartmouth College in New Hampshire (USA), nachdem er sein Psychologiestudium an der Justus-Liebig-Universität Gießen abgeschlossen hatte.