Das Projekt nexus ist seit dem 30. April 2020 abgeschlossen. Alle Informationen und Texte entsprechen dem Stand zum Projektende und werden nicht weiter aktualisiert. Mit dem Themenbereich Anrechnung und Anerkennung befasst sich das aktuelle HRK-Projekt MODUS und für Studierende die Infoseite AN!.

Abstract: One size does not fit all – Für eine zweckorientierte Praxis der Evaluation von Studium und Lehre

Prof. Dr. Jan Hense, Justus-Liebig-Universität Gießen

 Die Evaluation von Studium und Lehre an deutschen Hochschulen stößt nicht bei allen Beteiligten auf Gegenliebe. Insbesondere gegenüber standardisierten Verfahren der Lehrveranstaltungs­evaluation (LVE), bei denen Studierende meist am Ende des Semesters verschiedene Aspekte der Lehrveranstaltung beurteilen, wird verschiedentlich Kritik geübt. So werden beispielsweise die Reliabilität und Validität der verwendeten Instrumente hinterfragt, das ritualisierte Erzeugen von Datenbergen beklagt und insgesamt der Nutzen für eine Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium in Zweifel gezogen.

Angesichts des betriebenen Aufwands sind solche kritischen Fragen nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten. Schließlich fordern nicht zuletzt professionelle Standards Nützlichkeit als erstes Gütekriterium guter Evaluation (Gesellschaft für Evaluation - DeGEval, 2017). Im Beitrag wird aber dafür plädiert, bei der Diskussion dieser Fragen zwei Bereiche voneinander zu trennen, (a) Kritik am Instrument der LVE auf der einen Seite und (b) Kritik am Einsatz dieses Instruments in Hochschulen auf der anderen.

Zum ersten Punkt, der Kritik am Instrument der Evaluation selbst, lassen sich viele Vorwürfe empirisch auf Basis des Forschungsstands klären. Da einschlägige Studien oft nur lokale Varianten von LVEs untersuchen, die von Hochschule zu Hochschule starke Variationen aufweisen können, ist es dabei wichtig, nicht nur Einzelstudien zu rezipieren, sondern auf Forschungssynthesen zurückzugreifen. Insgesamt zeigt sich dabei, dass viele der unterstellten Probleme von LVEs sich zumindest für gut konzipierte Instrumente nicht systematisch belegen lassen oder nur in sehr geringem Ausmaß die Ergebnisse beeinflussen. Für zwei Faktoren ist allerdings ein verzerrender Einfluss gut belegt: In Pflichtveranstaltungen und bei einem niedrigen Interesse der Studierenden am Thema der Veranstaltung ist von systematisch niedrigeren LVE-Werten auszugehen. Der Vorwurf der Folgenlosigkeit ist dagegen bei näherem Hinsehen nur auf einer unmittelbaren, instrumentellen Ebene belegt, dabei ist davon auszugehen, dass Wirkungen der LVE-Rückmeldung eher indirekt und verzögert auftreten.

Während Kritik am Instrument der LVE also in vielen Fällen relativiert werden muss, richten sich viele Kritikpunkte in Wahrheit auf deren Einsatz im Hochschulalltag. Der Beitrag argumentiert, dass die Wirkungshypothese „Evaluation trägt zur Qualitätsverbesserung bei“ kein Automatismus ist, sondern theoretisch fundiert werden muss. Insbesondere müssen Evaluationsverfahren konzeptionell in organisationale Qualitätsmanagementkreisläufe eingebettet werden, da sie sonst isolierte Aktivitäten mit geringen Konsequenzen bleiben. Lücken im Plan-Do-Check-Act- Zyklus klaffen hier insbesondere zwischen dem Plan und dem Do, da oft keine klaren Ziele in Bezug auf gute Lehre existieren, sowie dem Check und dem Act, da Lehrende zu wenig Unterstützung im sinnvollen Umgang mit der Evaluation ihrer Lehre erhalten. Ein drittes Problem betrifft insgesamt die Abstimmung der hochschulinternen Instrumente zur Qualitätssteuerung von Studium und Lehre. Beispielhaft an den beiden Instrumenten LVE und hochschuldidaktischer Weiterbildung lässt sich zeigen, dass qualitätsbezogene Bemühungen trotz gemeinsamer Ziele oft viel zu wenig aufeinander abgestimmt sind.

Für eine zweckorientierte Praxis der Evaluation von Studium und Lehre wäre es daher wichtig, diese, beispielsweise in Form einer „evaluation policy“, systematischer zu konzipieren und zu implementieren. Um Abnutzungserscheinungen vorzubeugen, sollten LVEs dabei nicht nach dem Gießkannenprinzip eingesetzt und aus Fairnessgründen nicht für Personalentscheidungen missbraucht werden. Nur dann ist zu erwarten, dass sie ihr Potenzial als verstetigtes Instrument zur systematischen Einbeziehung der Studierendensicht und relativ ressourcenschonende Möglichkeit eines inhaltlich breiten Feedbacks an Lehrende ausschöpfen und entsprechende Impulse für mögliche Veränderungen in der Lehre geben können.

nexus-Tagung „Praxistaugliche Verfahren zur Evaluation von Lehre und Studium“ an der Technischen Universität Braunschweig , 29. September 2017  zurück